Deadbots in der Trauerverarbeitung: Wenn KI Verstorbene zum Leben erweckt.

Deadbots in der Trauerverarbeitung: Wenn KI Verstorbene zum Leben erweckt.

Deadbots in der Trauerarbeit

Deadbots (auch „Griefbots“ oder „digitale Nachbildungen Verstorbener“) sind KI-gestützte Systeme, die darauf trainiert werden, die Kommunikationsmuster, Sprachmuster und Persönlichkeitsmerkmale verstorbener Personen zu imitieren. Diese Technologie nutzt digitale Hinterlassenschaften wie Chat-Verläufe, E-Mails, soziale Medien oder Sprachaufnahmen, um mittels maschinellen Lernens eine simulierte Fortsetzung der Interaktion mit dem Verstorbenen zu ermöglichen.

Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich um eine Anwendung von Natural Language Processing (NLP) und generativen KI-Modellen im Kontext der sogenannten „digitalen Unsterblichkeit“. Die Technologie wirft fundamentale Fragen an der Schnittstelle von Psychologie, Ethik und Thanatologie (Wissenschaft vom Tod, Sterben und der Bestattung) auf.

Aus psychologischer Sicht: Die ambivalente Rolle in der Trauerarbeit

Potenzielle Chancen

In der akuten Trauerphase könnte ein Deadbot theoretisch eine Brückenfunktion erfüllen, indem er den abrupten Verlust abmildert. Besonders bei plötzlichen Todesfällen fehlt oft die Möglichkeit zum Abschied. Hier könnte die Technologie einen temporären Raum für ungesagte Worte bieten und den Übergang und Abschied sanfter gestalten.

Für manche Trauernde kann die Interaktion helfen, positive Erinnerungen zu aktivieren und die Beziehung zum Verstorbenen zu reflektieren, was Teil gesunder Trauerarbeit sein kann.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass es nützlich wäre, Wissen und Denkweisen bekannter Persönlichkeiten und Wissenschaftler zu bewahren, um diese auch nach ihrem Tod als Inspiration und zum Lernen zu nutzen. 

Erhebliche Risiken

Die natürliche Trauerarbeit nach dem Dual-Process-Modell (Stroebe & Schut) erfordert die Balance zwischen verlustorientierter und wiederherstellungsorientierter Bewältigung. Deadbots könnten diese Balance empfindlich stören, indem sie die Illusion einer fortbestehenden Beziehung aufrechterhalten und damit die notwendige Akzeptanz der Realität verzögern oder verhindern.

Während fortgesetzte Bindungen zum Verstorbenen als Teil gesunder Trauer anerkannt sind, besteht bei Deadbots die Gefahr einer pathologischen Verlängerung der Trauerreaktion. Die interaktive Natur könnte Trauernde in einer Zwischenwelt festhalten, die weder echte Verbindung noch echten Abschied ermöglicht.

Das Uncanny-Valley-Problem: Deadbots können nie die authentische Komplexität eines Menschen erfassen. Diese „Fast-aber-nicht-ganz“-Ähnlichkeit kann psychisch belastend sein und das Gefühl von Verlust sogar verstärken. Jede Interaktion erinnert daran, was fehlt: die Wärme, Spontanität und echte Präsenz des Menschen.

Trauernde befinden sich in einem Zustand erhöhter psychischer Vulnerabilität. Die Versuchung, sich in die digitale Illusion zu flüchten, ist groß, besonders wenn die reale Auseinandersetzung mit dem Verlust schmerzhaft ist. Dies kann zu einer Form digitaler Abhängigkeit führen.

Der Wert bewussten Abschiednehmens

Die Palliativmedizin hat zum Ziel, würdevolles Sterben und bewusstes Abschiednehmen zu ermöglichen. Diese Arbeit basiert auf der Erkenntnis, dass die Auseinandersetzung mit Endlichkeit – so schmerzhaft sie ist – für beide Seiten heilsam sein kann. Ein wesentlicher Aspekt palliativer Begleitung ist die antizipatorische Trauerarbeit, bei der sich Angehörige schrittweise auf den Verlust vorbereiten können. Deadbots könnten diese wichtige psychologische Vorbereitung konterkarieren, indem sie suggerieren, der Verlust sei reversibel oder umgehbar.

Gesellschaftlich tendieren wir dazu, den Tod zu verdrängen und zu technisieren. Deadbots fügen sich in diese Entwicklung ein und könnten die ohnehin schwierige Akzeptanz von Sterblichkeit weiter erschweren. Die palliative Philosophie betont hingegen die Integration des Todes als natürlichen Teil des Lebens.

Ethische Bedenken

Zudem ist noch zu erwähnen, dass beim Einsatz von Deadbots immer die Würde Verstorbener zu berücksichtigen ist. Haben Verstorbene der Nutzung ihrer Daten zu solchen Zwecken zugestimmt? Wie authentisch kann und darf eine KI-Repräsentation sein? Diese Fragen berühren fundamentale Werte unserer Sterbekultur.

Resümee & Empfehlung

Ich sehe Deadbots mit großer Skepsis. Die Trauerarbeit erfordert die schrittweise Anpassung an eine Welt ohne den Verstorbenen, ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess. Deadbots bieten eine technologische Umgehung an, die diesen Prozess untergraben kann.

Statt Deadbots empfehle ich:

  • Professionelle Trauerbegleitung und psychotherapeutische Unterstützung bei schwerer Trauer
  • Erinnerungspraktiken, die die Realität des Verlusts anerkennen (Fotoalben, Briefe, Rituale)
  • Peer-Support-Gruppen und soziale Netzwerke
  • Zeit, Raum und gesellschaftliche Akzeptanz für den individuellen Trauerprozess

Wenn Deadbots eingesetzt werden, sollte dies ausschließlich unter therapeutischer Begleitung, zeitlich stark begrenzt und mit klarem Bewusstsein über die Risiken geschehen. Die Technologie darf nicht zur Standard-Option werden, die professionelle Trauerarbeit ersetzt.

Nicht jedes technisch Mögliche ist psychologisch sinnvoll. Die menschliche Fähigkeit zu trauern, loszulassen und weiterzuleben trotz Verlust ist fundamental für unsere psychische Gesundheit. Deadbots mögen kurzfristig Trost bieten, bergen aber das Risiko, uns in einer digitalen Illusion gefangen zu halten, die echte Heilung verhindert. 

Der Tod gehört zum Leben. Die Kunst liegt nicht darin, ihn technologisch zu überlisten, sondern darin, trotz des Schmerzes einen Weg durch die Trauer zu finden – hin zu einem Leben, das den Verlust integriert hat, ohne ihn zu leugnen.

Teile diesen Beitrag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert