Der achtsame Umgang mit Gefühlen

Der achtsame Umgang mit Gefühlen

Der achtsame Umgang mit einem Gefühl

Im hektischen Alltag überhören wir oft, was in uns vorgeht. Gefühle rauschen vorbei wie Autos auf einer Schnellstraße – kaum wahrgenommen, schon verdrängt. Doch Emotionen sind wertvolle Wegweiser. Sie zeigen uns, was wir brauchen, wo Grenzen liegen und was uns wirklich wichtig ist. Der achtsame Umgang mit Gefühlen ist eine Praxis, die uns hilft, diesen inneren Stimmen wieder zuzuhören.

1. Innehalten und den Körper wahrnehmen

Der erste Schritt besteht darin, innezuhalten. Einfach kurz anhalten im Tun – und den Körper spüren.
Wie fühlt er sich im Ganzen an? Gibt es Spannung, Leichtigkeit, Schwere, Wärme oder Kälte?
Wichtig: Nicht nachdenken oder bewerten. Nur wahrnehmen.

2. Das Gefühl wahrnehmen

Lenke deine Aufmerksamkeit auf das, was du im Moment fühlst. Vielleicht ist da Freude, Müdigkeit, Ärger oder Trauer – oder vielleicht gar nichts Bestimmtes. Was immer auftaucht, heiße es willkommen, ohne es verändern zu wollen. Betrachte es einfach, so wie du einen Vogel beobachtest, der kurz auf deinem Fensterbrett landet.

3. Das Gefühl benennen

Sprich innerlich nicht: „Ich bin traurig“, sondern: „Da ist Trauer in mir“ oder „Etwas in mir ist traurig“ (Weiser, 1997). Diese kleine sprachliche Veränderung schafft Distanz. Sie hilft, sich nicht mit dem Gefühl zu identifizieren, sondern es als etwas zu sehen, das da ist – und wieder gehen darf.

4. Das Gefühl im Körper spüren

Wo zeigt sich das Gefühl? Vielleicht als Enge in der Brust, als Druck im Bauch, als Kribbeln oder Leere?
Nimm die körperliche Empfindung einfach wahr. Sie ist die Sprache, in der sich das Gefühl ausdrückt.

5. Bewertung wahrnehmen

Frage dich: Fühlt sich dieses Gefühl angenehm, unangenehm oder neutral an? Versuche, nicht darüber zu denken, sondern nur zu spüren.

6. Veränderungen wahrnehmen

Bleibe einen Moment bei dem Gefühl. Beobachte, ob es sich verändert, schwächer wird, sich ausbreitet oder wandelt. Gefühle sind wie Wellen – sie kommen und gehen, wenn wir ihnen Raum geben.

7. Einen Entschluss fassen

Bevor du handelst, halte einen Moment inne. Was möchtest du jetzt als Nächstes tun?
Triff bewusst eine Entscheidung – und beobachte dabei, wie dein Körper reagiert.

8. Achtsam handeln

Wenn du deinen Entschluss umsetzt, tue es achtsam. Nimm jeden Schritt wahr: deine Bewegung, deinen Atem, deine Umgebung. Lass die Handlung selbst zu einer kleinen Übung in Bewusstheit werden.

9. Den Körper wieder wahrnehmen

Zum Abschluss kehre zurück zur Körperwahrnehmung. Spüre, wie du jetzt dastehst, sitzt oder atmest.
Vielleicht fühlst du dich etwas ruhiger, klarer, verbundener.

Warum diese Übung so wertvoll ist

Diese Anleitung ist eine Möglichkeit, die eigene Wahrnehmung im Umgang mit Gefühlen zu trainieren.
Das Ziel solcher Achtsamkeitsübungen ist nicht, unangenehme Emotionen loszuwerden – sondern sie anzunehmen. Denn hinter jedem Gefühl steckt meist ein Bedürfnis: z.B. nach Ruhe, Sicherheit, Anerkennung, Nähe oder Freiheit. Wenn wir lernen, diese Bedürfnisse zu erkennen, lernen wir uns immer besser selbst kennen und durch die innere Klarheit entsteht allmählich mehr Gelassenheit und innerer Friede.

Ein Gefühl ist wie ein Kind

Ein Gefühl ist wie ein Kind, das in uns lebt und weint und lacht, Hunger hat und bemerkt sein will. Wer zu seinem Gefühl zu oft sagt: Sei still, ich habe jetzt keine Zeit für dich – dessen inneres Kind sitzt eines Tages in einer vergessenen Ecke und trauert, wird krank und verkümmert. Mit Gefühlen soll man umgehen, wie man mit einem Kind umgeht. Man sieht ihm freundlich zu und aufmerksam. Man hört, was es klagt, man leidet mit ihm, wenn es leidet. Denn Gefühle sind die lebendigsten Kräfte in uns, und keine andere Kraft in uns bringt so Lebendiges hervor. Ein Kind hat auch Wünsche, berechtigte, gute, schöne, die nicht zu erfüllen sind. Dann nehmen wir es auf den Arm und sind mit ihm traurig. Aber wir schicken es nicht weg. Ein Kind kann verstehen, dass es nicht alles haben kann. Aber lieben muss man es, ihm Mut geben und Fröhlichkeit, und Raum, seine Kräfte zu regen.

Jörg Zink, „Was bleibt, stiften die Lieb“

Zum Schluss

Achtsamkeit im Umgang mit Gefühlen bedeutet nicht, sie zu kontrollieren, sondern ihnen Zuwendung zu schenken. Jedes Gefühl – ob angenehm oder schmerzhaft – ist ein Ausdruck des Lebens in uns. Wenn wir lernen, diese inneren Kinder freundlich zu halten, anstatt sie zu verdrängen, entsteht echte emotionale Reife. Und mit ihr wächst das, was wir alle suchen: innere Ruhe und Mitgefühl – für uns selbst und andere.

Share this content:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert